Der Waldmensch – 3 Jahre im Wald
Michael Wulf
Leseprobe 1. Kapitel
Die Begegnung
Ein Knacksen lässt den Pilzsammler zusammenzucken. Es ist später Nachmittag, er ist tief im Schwarzwald unterwegs und findet seinen Weg nicht mehr, als er plötzlich das Geräusch wahrnimmt.
Kracks!
Mit weit geöffneten Augen und nach hinten gezogenem Kinn blickt er in Richtung des Geräuschs und sucht hastig alle Winkel des Waldes ab. Seit Stunden irrt er schon umher und findet den Weg nicht mehr zurück. Er keucht, nichts bewegt sich im Wald.
Kracks!
Der Pilzsammler hebt den Wanderstock in seiner rechten Hand in die Höhe und umklammert das untere Stockende mit der linken. Wie ein Samurai-Krieger senkt er seinen Körper um eine Kopflänge zum Waldboden, hält seinen Stock wie ein Schwert vor der Brust, tastet sich langsam voran.
Kracks!
Er schreckt auf. Da! Hinter den kleinen Tannen muss es sein. Seine Augen fokussieren das Ziel. Mit jedem Schritt pocht sein Herz lauter. Welches Tier macht so laute Geräusche? Langsam pirscht er sich durch die dicht bewachsenen Tannen hindurch. Ein Reh oder Wildschwein? Er hält sein Schwert fest in den Händen, bereit, jederzeit zuzuschlagen. Ein Wolf? Mit dem Schwert schiebt er die letzte Tanne aus dem Blickfeld und da passiert es:
Kracks!
Mit offenem Mund blickt er nach vorne. Das Schwert sinkt langsam zum Boden. Und in jenem Moment, als es den Waldboden berührt, ist das Schwert zurück in einen Wanderstock verwandelt. Mit dem letzten „Kracks!” ist auch der Samurai wieder nur ein Pilzsammler. Er richtet seinen Oberkörper auf, all seine Anspannungen lösen sich. Mit feuchten Augen blickt er auf sein Gegenüber:
Ein Mann mit langem Bart und nacktem Oberkörper steht vor einem Haufen Holz und hält einen Ast in beiden Händen.
Kracks!
Und der Ast ist in der Mitte geteilt. Der Mann legt die beiden Hölzer auf den rechteckig geordneten Holzstapel und hält inne, sein kurz geschorener Kopf fühlt etwas.
„Entschuldigen Sie, lieber Herr“, beginnt der Pilzsammler, der sich für die Kontaktaufnahme entschlossen hat.
Der Holzstapler dreht sich langsam zu ihm. Er hatte die Anwesenheit des Pilzsammlers längst bemerkt, doch überraschte ihn die überkorrekte Anrede.
„Ich möchte Sie nicht stören. Ich kam hier zufällig vorbei und ich bin auf der Suche nach …“, der Pilzsammler läuft ein paar Schritte auf ihn zu und beginnt zu stammeln, denn ein Anfall von Neugier überrennt seine Gedanken. Neben dem Holz erblickt er eine Pfanne, Teller, Gabeln, Tassen, Schlafsack und Kopfkissen.
„Sagen Sie mal, wohnen Sie hier? Weil Sie hier Teller, Pfanne … Also, ich war gerade, na ja, ich wollte, aber dann hab ich mich beim Pilzesammeln verirrt."
„Ich heiße Friedrich und du darfst mich gerne duzen“, entgegnet der Mann. „Wie heißt du?“
„Ich heiße Stefan.“
„Hallo Stefan. Ja, ich lebe hier.“ Friedrich spricht mit sanfter Stimme, die alle Unruhe des verirrten Pilzsammlers zu verklingen vermag.
„Wie lange lebst du denn schon hier im Wald?“
„Haben wir August oder schon September?“, entgegnet Friedrich zu Stefans Überraschung.
„Ähm, es ist Anfang September.“
Stefan betrachtet Friedrich genauer. Dieser hat hellbraune Augen, in derselben Farbe ist sein Vollbart, der in langen Wellen bis zur Brust gewachsen ist. Er hat mehr Haare im Gesicht als auf dem schön gerundeten Kopf. Eine runde Nase nimmt viel Platz in seinem Gesicht ein. Er trägt eine braune Cordhose und steht mit nackten Füßen auf einer Schicht Tannennadeln.
„Zwei Jahre und drei Monate“, rechnet Friedrich stolz, während Stefan noch verwundert auf dessen Füße schaut, die wie selbstverständlich auf Tannennadeln stehen und dabei noch ungewöhnlich sauber gepflegt aussehen.
„Zwei Jahre und drei Monate?“, wiederholt Stefan überrascht, „Auch im Winter?“
„Ja.“
„Hast du keine Wohnung?“
„Das ist meine Wohnung.“
„Waaaas? Und wie überlebst du im Winter? Was isst du im Winter? Was machst du, wenn du krank wirst?“
Friedrich schaut den Fragenden mit leicht nach links geneigtem Kopf an. Stefan bemerkt seine übermäßige Neugier und entschuldigt sich kurz mit einem „Sorry!“.
„Es wird bald dunkel. Ich mache gerade ein Lagerfeuer, damit es warm bleibt. Möchtest du dich ans Feuer setzen? Dann erzähle ich dir alles, was du wissen möchtest, unter einer Bedingung.“
„Und welche?“
„Du darfst jedem Menschen, den du triffst, von meiner Geschichte erzählen, aber du darfst niemals und niemanden verraten, wo mein Versteck ist.“
„Einverstanden.“
Stefan setzt sich neben das gestapelte Holz und beobachtet, wie Friedrich das Feuer entfacht, auf eine Art und Weise, wie er es als Stadtmensch noch nie gesehen hat. Friedrich schabt an einem schwarzen Stab, Dutzende von Funken, wie bei einem kleinen Feuerwerk, fliegen in das Holz hinein. Eine Flamme steigt empor und entzündet das Lagerfeuer. Wenig später legt Friedrich ein Gitter über die Feuerstelle, stellt einen Topf mit Wasser darauf und wirft allerlei Kraut hinein. Die Flammen schießen rechts und links am Topf vorbei, doch als würde Friedrich die Flammen bändigen, rührt er gemächlich mit einem Stock in dem Kräuterwasser, ohne sich zu verbrennen. Der Dampf des Wassers mischt sich mit dem Rauch der Flammen, es knistert und knattert unter dem Topf mit brodelndem Wasser. Anschließend nimmt er zwei Tassen zur Hand und schöpft das warme Wasser direkt aus dem Topf in die Tassen.
Der Gast nimmt die wärmende Tasse zwischen seine Hände und trinkt vorsichtig einen Schluck. „Boah, das schmeckt lecker nach Wald!“
Friedrich lächelt und stellt eine Pfanne auf das Metallgitter über dem Lagerfeuer. Er wirft ein paar Pilze in die Pfanne und wendet sie mit einem Stock hin und her. Die Flammen zischen links und rechts an der Pfanne vorbei und die Pilze brutzeln. Der Duft von gebratenen Pilzen liegt in der Luft am Lagerfeuer. Friedrich streuselt ein paar kleine Kügelchen über die Pilze, die aussehen wie Pfeffer, aber es nicht sind.
„Und was sind das für Kügelchen? Ist das der Wald Pfeffer?“, erkundigt sich der Besucher, der genüsslich das Feuer Kochen beobachtet.
„Das sind die Knospen von einer Lärche, kann man das ganze Jahr ernten.“, gibt Friedrich zur Antwort.
Die Pilzpfanne ist fertig. Friedrich überreicht dem Gast ein Holzschälchen und einen kleinen Ast, der als Gabel fungiert.
Verlegen blickt er in das Schälchen mit den gebratenen Pilzen und Tannennadeln Pfeffer.
„Und was sind das für Pilze? Ich kenne sie nicht.“
„Ich weiß nicht, ob wir uns schon so lange kennen, dass ich dir gleich all meine Geheimnisse anvertraue“, scherzt Friedrich mit einem breiten und stolzen Lächeln, das sagen soll: Ich freu mich, dass du fragst. Doch möchte er seinen Gast nicht verprellen und verspricht ihm:
„Ich will es dir verraten, doch dafür müssen wir erstmal zur Quelle zurückkehren.“
Coming Soon…
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